Shenyang und der Zwiespalt zwischen China und Japan
Shenyang! Begleitet von einer zarten Brise wandle ich durch die Stadt, in der abermals ein Fremder bin. Nur gut, dass ich bereits an der Zhejiang Universität eine Freundin kennengelernt habe, die für ein Praktikum in der Stadt verweilt und mich direkt auf eine Hausparty einlädt. Auch hier hält das vormals beschriebene Yuanfen wieder Einzug. Mal ehrlich, ist der Ort nicht egal, solange wir in guter Gesellschaft sind? Ich für meinen Teil sitze lieber stundenlang im Restaurant oder spiele Gesellschaftsspiele als alberne Selfies vor Tempeln zu knipsen.
Eines Tages, ich kann mich nicht mehr erinnern ob es direkt in Shenyang war, fragt mich ein Mann in mittlerem Alter: “Was für eine Kamera nutzt du?”. “Eine Bridge Kamera von Samsung”, sagte ich und schoss drückte auf den Auslöser. Der Mann nickte zustimmend mit dem Kopf. Als er schon fast an mir vorbeigezogen ist, schaut er noch einmal zurück und sagt mit ernster Miene: “Aber kauf nie japanische Produkte. Kauf nicht von den Teufeln”. Angeregt durch diesen Kommentar sowie der Besuch einer der bedeutensten Gedenkstätten des Sino-Japanischen Krieges, dem 9-18 Memorial in Shenyang, war das Thema dieses Artikels schnell gefunden.
Die japanischen Teufel
Wulanhot, Changchun, Shenyang, Beijing, Nanjing. Die Liste der Städte und Mahnmale, die an die Demütigung und Massaker der Japaner in China erinnern ist lang. Hunderte von düsteren Schauplätzen erinnern an die japanischen Invasionen und führen den Bewohnern der Volksrepublik die Gewältigkeit der japanischen Soldaten vor Augen. Massenmorde, bestialische Vergewaltigungen und unmenschliches Verhalten gegenüber den Opfern. Einer der Gründe für den Hass der Chinesen gegenüber den Japanern höre ich desöfteren: es gab nie eine offizielle, aufrichtige Entschuldigung seitens Japan. Ganz im Gegenteil verleugneten diese die Vorfälle in Schulbüchern und im Geschichtsunterricht und verehrten bis heute Kriegsverbrecher im Yasukuni Schrein inmitten Japans Hauptstadt. Umstände, die zu einem tiefen Zerwürfnis zwischen den Ländern führten.
Der territoriale Streit um die Inseln im Südchinesischen Meer fördert zudem die anti-japanische Stimmung. “Herzlose, gewaltätige Monster” seien die “japanischen Zwerge”, eine Meinung die von vielen Bürgern geteilt wird, egal in welcher chinesischen Stadt. In Schulbüchern, Fernsehserien und Filmen – überall wird der Japaner als Bösewicht dargestellt. Gehören darum nun auch japanische Waren zerstört? Nirgendwo in der Welt sei der Japaner so verhasst wie in China und Südkorea.
Zweierlei Maß?
Dagegen scheinen für die chinesische Bevölkerung andere Massaker der Weltgeschichte fast weniger dramatisch. Der Holocaust der Nazis, der Genozid der Tutsi, der Völkermord der Roten Khmer. Vielleicht, weil diese weniger das eigene Volk betrafen. Viele Chinesen hörte ich schon den 2. Weltkrieg bewundern, die Errungenschaften der Nazis unter der Führung Adolf Hitlers glorifizieren und von deutschen Panzern und Kriegsflugzeugen schwärmen. Ich ertappe mich immer wieder dabei, die Leute daran zu erinnern, welche Grausamkeiten ein geisteskranker Politiker mit unmenschlicher Ideologie über die Welt brachte: Genozid und einen Weltkrieg. Dass Deutschland sich für seine dunkle Geschichte entschuldigt hat macht die Vergangenheit nicht ungeschehen, wenngleich es einen Neubeginn markierte.
Egal in welches Land der Erde wir schauen, ein jedes hat eine Geschichte von Leid und Krieg zu erzählen. Nord und Südamerika, Afrika, Europa, Asien und Ozeanien. Nicht ein Kontinent blieb von Kriegen, Massenmord oder Unmenschlichkeiten verschont. Geschichte wird nie vergessen, und vor allem nicht in den Ländern, die am meisten gelitten haben. Aber das Verarbeiten über die Zeit kann unsere Einstellung gegenüber den Peinigern ändern.
Auch wenn in einigen chinesischen Restaurants sogar Schilder darauf hinweisen, dass Japaner nicht bedient werden, so gibt es eine zunehmende Zahl junger Menschen, die weniger voreingenommen gegenüber Japan stehen. Und eine offene Frage: Wie lange soll der dunkle Schatten der Vergangenheit noch die Beziehung zwischen den Einwohnern beider Länder beeinträchtigen? Besonders in Anbetracht der gemeinsamen kulturellen Wurzeln. Viele der jungen Generation schätzen japanische Produkte, insbesondere Elektronik, Kosmetik, Autos und die japanische Küche. All die japanischen Comics, die Filme und Musiker, die von Millionen Chinesen gefeiert werden. Besonders japanische Eigenschaften wie Höflichkeit, Ordentlichkeit und Sorgfalt werden von jungen Chinesen gewürdigt.
Ist es nicht an der Zeit, trotz all der Geschehnisse, der Schmerzen, und der Erniedrigung die negativen Gefühle einzudämmen und stattdessen gegenseitige Anerkennung zu kultivieren, damit zukünftige Generationen Liebe statt Hass predigen?