Tieling und das Konzept des “Yuan Fen”

Tieling und das Konzept des “Yuan Fen”

 

Willkommen in der nächsten Provinz auf der Pilgerreise durch die Volksrepublik, in Liaoning. Hier in der Kleinstadt Siping setzt sich das Bild von tanzenden Menschen, peitschenden Kreiseln und Dronen fliegenden Technikenthusiasten fort. Das ändert sich auch in Tieling, wiederum 80 Kilometer von Siping entfernt, nicht. Siping, Tieling, das klingt für uns alles nichtssagend. Doch unter Chinesen ist die Kleinstadt Tieling durch den Parodisten Zhao Benshan berühmt geworden. Auch die Menschen machen einen gut gelaunten Eindruck und genießen es, am See zu musizieren, zu tanzen oder sich bei einem straffen Spaziergang durch den Park zu ertüchtigen.

 

Eine Prise “Yuanfen”

Mein abendlicher Hunger führt mich in ein kleines Nudelhaus, wo ich mal wieder mit diesem Konzept in Berührung komme. Unter Chinesen gibt es da so einen Ausdruck:

有缘千里来相会 – Das Schicksal wird uns über 1000 Meilen hinweg zusammenbringen. 

In der westlichen Welt sprechen wir von einer glücklichen Fügung oder einer Vorbestimmung, jemanden zu treffen. In China wird dieses Konzept aber gefühlt häufiger genutzt, um seine Wertschätzung gegenüber der neuen Bekanntschaft zu beteuern und Freude darüber auszudrücken, jemanden kennenzulernen, den man unter anderen Umständen nicht getroffen hätte. Ich bin ebenso dankbar für all die glücklichen Momente, stets auf interessante und warmherzige Menschen gestoßen zu sein. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass wir diesen glücklichen Fügungen umso öfter begegnen, je mehr wir uns dem Unbekannten aussetzen. Eine selbsterfüllende Prophezeihung. Oder auf chinesisch: ein Yuanfen- Booster.

Zurück zum Nudelhaus. Dort lernte ich die Chefin des Ladens kennen, Adu. Sie ist ein Multitalent. Mutter einer Tochter. Verheiratet und wieder geschieden. Und das mit noch nicht mal 30. Hat dieses Nudelhaus selbst konzipiert und mit Liebe gestaltet und dann Kochen gelernt. Nebenbei verkauft sie Kosmetik über das Internet und führt zudem noch einen Live-Broadcast, in China auch Zhibo genannt.

Diese Live-Streams gehen momentan in China durch die Decke. Vorerst waren die ersten Stars ein paar schöne Mädels mit viel zu viel Make-up auf dem Gesicht, die vor ihrem Telefon sitzend nicht viel zu sagen hatten und nur auf die Geldumschläge ihrer Zuschauer warteten. Mittlerweile gibt es aber auch Live-Streamer mit kreativeren Inhalten, die einen Mehrwert für Ihr Publikum bieten. Adu rät mir, dies doch auch für meine Reise zu benutzen. Wenn da nicht der hohe Daten- und Akkuverbrauch wäre… Dennoch eine faszinierende Idee für später, für die ich im Gegensatz zu den oben genannten Damen nie die Hüllen fallen lassen werden, versprochen.

Am nächsten Tag ruft mich Adu an. “Wo bist du gerade, ich habe was für dich” Und tatsächlich kommt sie wenige Minuten später an die Kreuzung gefahren mit einem Beutel voller Proviant. Sie hätte gestern aufgrund ihrer Liveshow nicht so viel Zeit gehabt, freut sich aber wirklich über die Bekanntschaft und wollte mich wissen lassen, dass sie von meiner Reise begeistert ist. Daher hat sie mir u.a. ein paar Fleischküchlein für den Weg mitgebracht. Gerührt von so viel Fürsorge begebe ich mich auf den Weg nach Shenyang. Wahrhaftig: Yuanfen!


Euer Jörg

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